Tangopostale in Toulouse

Tango unter freiem Himmel auf Straßen und Plätzen am Ufer der Garonne, Ausstellungen und Stadtführungen mit Tanz auf den Spuren des Tango argentino. Toulouse tanzt vom 1. bis 10. Juli 2022 beim 13. Internationalen Tango-Festival. Meine Tipps zum jährlichen Festival und zu Toulouse.

Von Petra Sparrer

Ball in Toulouse, Tänter beim Tango in Ramonville
Tangopostale, das Tangofestival in Toulouse bietet zehn Tage lang Tangosalons. Foto: PS

Tanzendes Toulouse: Internationales Tango-Festival

Bälle in stimmungsvollen Sälen, renommierte DJs für traditionellen Tango und Neo-Tango, Ausstellungen, Lesungen, Konzerte, kostenlose Spaziergänge zur Kultur des Tango argentino. Maestro-Workshops für alle Niveaus mit dem Tanzprofilehrerpaar Vanessa Gauch und Esref Tekinalp, das schon in der Türkei Tangogeschichte schrieb, denn Esref ist Mitbegründer einer der bekanntesten Tangoschulen Istanbuls. Das jährliche Tangofestival im Juli in Toulouse steht für die Vielfalt der Tangokultur in der Welt. Es zieht viele Tangogrößen und insgesamt rund 7000 Besucher an.

Tangopostale an der Garonne: das Programm für 2022
Foto & Design: L´association FITT

Der Verein der regen Toulouser Tangoszene L’association FITT (Festival international de tango de Toulouse) hat ein abwechslungsreiches Programm zusammengestellt. Es reicht von Einführungen für Anfänger bis zu Perfektionskursen für alle Niveaus, Szenetreffs in lokalen Cafés und der Möglichkeit, Comics und Bücher über Tango kennenzulernen und Live-Konzerte zu erleben. Die Gastband Sexteto Cristal aus Norddeutschland wird 2022 von dem jungen argentinischen Sänger Martin Troncozo begleitet.

Auch ein Tanzball-Konzert des polnischen Weltklasse-Tango-Ensembles Bandonegro steht 2022 auf dem Programm. Eigene Kompositionen, Jazz und Klassik mischen sich mit traditionellem argentinischen Tango und Tangonuevo.

Zum Auftakt am 1. Juli gibt es argentinische Folklore und Tanzaufführungen (Chacarera) des Trios Juan del Monte und des Duos La Floreo und eine Milonga bis in den späten Abend. Der stimmungsvolle Veranstaltungsort ist an der Schleuse Saint-Pierre, wo der Canal de Brienne in die Garonne mündet. Die um die 200 FITT-Vereinsmitglieder, von denen rund 80 sich als Freiwillige an der Festivalorganisation beteiligen, sind passionierte Tänzer, Musikliebhaber oder selbst Musiker oder Poeten.

Einige sind gleichzeitig Mitglieder des Vereins Tangueando, der im Maison du Tango (51, rue de Bayard) eine der bekanntesten der über 15 Toulouser Tanzschulen betreibt. Seine Tanzschule Tangueando organisiert auch die Meisterkurse des Festivals. Jedes Jahr stellt der Verein neue spannende Themen um den Tango in den Vordergrund. Eine Kooperation mit dem Toulouser Kinofestival Cinélatino gibt es auch. Mit etwas Glück können Besucher auch open air Filme schauen, in dem Kultur- und Programmkino Cinémathèque de Toulouse (Rue du Taur 69).

Unterwegs auf den Wasserstraßen von Toulouse am Canal du Midi, Canal de Brienne und Garonne
Foto: PS

Ville rose: Zartrosa bis granatapfelrot

Wenn Toulouse, die Hautstadt der südfranzösischen Verwaltungsregion Okzitanien, eine feierlustige Studentenmetropole mit drei Universitäten, Anfang Juli zum Treffpunkt der internationalen Tangoszene wird, prägen Tangomelodien, Tanz und meist auch Sonnenschein die Stimmung. Die Tänzer bleiben nicht unter sich, sondern schwärmen durch die Straßen. Sie haben Lust, die pulsierende, von der Sonne in warmes Rosa getauchte Backsteinstadt zu entdecken.

In dieser glühenden Atmosphäre zeigen sie gern die Kultur des Tango, der zum immateriellen Welterbe der Unesco zählt, mit mitreißender Wirkung für die Zuschauer. Zehn Tage lang wird an Garonne und Canal du Midi getanzt und dem Tango gehuldigt. Dann weht ein Hauch von Buenos Aires und Uruguay durch Toulouse. Zugleich entsteht die Versuchung, nach granatapfelroten Schuhen, Hemden oder Kleidchen Ausschau zu halten.

Toulouse im Tanzschritt: Spontan während eines Stadtspaziergangs in den Straßen tanzende Tangopostale-Teilnehmer. Foto: L´association FITT

Ganz nebenbei erfahren Besucher dann auch, dass die rote Backsteinoptik der Stadthäuser früher gern weiß überstrichen wurde, damit die Straßen eleganter wirken. Erst in jüngerer Zeit steht Touloue wieder zu ihrem rosa Teint.

Auch die Kulturinstitutionen sind in Toulouse in der typischen Backsteinoptik gehalten, darunter das Théâtre du Capitole, überregional auch für sein Ballett bekannt, die überregional bekannte Halle aux Grains, Konzerthalle und Sitz des Orchestre National du Capitole in einem einstigen Getreide- und Gemüsemarkt, das Museum für zeitgenössische Kunst Les Abattoirs in einem renovierten Schlachthof, das Kunstmuseum Les Augustins in einem frühereren Augustinerkloster zwischen den Fußgängerzonen im Zentrum und das Nationaltheater TNT des Architekten Alain Safarti, der das Portal des früheren Musikkonservatoriums in den Bau integrierte.

Die Open-Air-Milonga auf der Place Saint-Pierre an mehreren Nachmittagen ist eine Institution des Festivals Tangopostale. Foto: PS

Vom Postflug zum Tango: Saint-Exupéry und Carlos Gardel

Warum eigentlich Tangopostale? Den Sinn des Festivalnamens veranschaulicht eine Stippvisite an der zentralen Place du Capitole. Mit ihren 12 000 Quadratmetern ist sie Dreh- und Angelpunkt im Straßennetz der Altstadt und manchmal auch Marktplatz. Der von Paul Pujol ausgemalte Saal im Capitole, dem Rathaus, zählt zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten.

Place du Capitole: Das Eckhaus hinter der Arkadenreihe ist das Hotel Le Grand Balcon, in dem Antoine de Saint-Exupéry sich zwischen seinen Postflügen ausruhte. Foto: PS

Vom Balkon des Zimmers Nr. 32 in der dritten Etage des Hotel Le Grand Balcon an der Nordwestecke schaute in den 1920er-Jahren Antoine de Saint-Exupéry auf den Platz. Er übernachtete in der damaligen Pension zwischen seinen Postflügen. Seinerzeit fuhr hier noch die Straßenbahn zum Flughafen von Montaudran.

Saint-Exupéry war 26 Jahre alt und hatte erst 350 Flugstunden absolviert, als die Luftfrachtgesellschaft Latécoère ihn einstellte. Seit der ersten Postflugverbindung zwischen Frankreich und Marokko von dem kleinen Flughafen Toulouse-Montaudran ab September 1919 und der Gründung der Aéropostale 1927 versteht sich Toulouse als Wiege der Luftfahrt. Und schon bald gab es mit den ersten Postflügen nach Chile auch die erste Flugverbindung zwischen Toulouse und Lateinamerika.

Später entstanden in der rosa Stadt das Überschallflugzeug Concorde und die Ariane-Rakete. Auch die ChemCam des Rovers Curiosity, der seit 2012 die NASA Bilder vom Mars an die Erde sendet, wurde in Toulouse entwickelt.

Auf dem ehemaligen Flugplatz von Montaudran zieht heute die Piste de Géants Besucher magnetisch an. Zu dem Museum zur Luftfahrtgeschichte gehört eine riesige Halle mit 150 spektakulären,teilweise herumspazierenden Tiermaschinen. Sie stammen vom Unternehmen François Delarozière, der auch den Elefanten von Nantes konzipiert hat, und bestehen aus Stahl, Holz, pneumatischen Teilen und jede Menge Zahnrädern.

Unter den Arkaden an der Place du Capitole erinnern 29 Deckengemälde an die Stadtgeschichte von Toulouse, und hier gibt´s leckeres Eis. Foto: PS

Von der Luftfahrtgeschichte zum Tango führt ein Blick an die Decke der Arkaden an der Place du Capitole, an der gegenüberliegenden Seite vom Rathaus. Der Künstler Raymond Moretti realisierte die 29 Deckengemälde der Arkaden. Sie erinnern zum Beispiel an das Pastellblau, das Toulouse einst reich gemacht hat, und an Persönlichkeiten wie Simon de Montfort, den Anführer der Albigenserkreuzzüge, an Pierre-Paul Riquet, den Erbauer des Canal du Midi, an den Sänger Claude Nougaro, der die 1967 Stadt mit „Ô Toulouse“ besang, und an den Tangomusiker Carlos Gardel.

Der in Buenos Aires gefeierte „König des Tango“ kam am 11. Dezember 1880 im Toulouser Hôpital de la Grave zur Welt. Seine Mutter ließ ihn mit dem Namen Charles Romuald beim Toulouser Standesamt eintragen. Da wusste noch niemand, dass er in Buenos Aires zu einer der wichtigsten Tangogrößen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden würde. Wer beim Tango Festival open air auf der Place Saint-Pierre tanzt, eine feste Größe des Toulouser Nachtlebens, sieht auch die Kuppel der Kapelle (von 1845) des Hôpital de la Grave am anderen Garonne-Ufer. Am Abend wird sie postkartenreif angestrahlt. Sie ist ein Blickfang der Skyline des Viertels Saint-Cyprien, wo noch im 16. und 17. Jahrhundert Pestkranke isoliert wurden.

Chacarera – argentinischer Volkstanz an der Place Saint-Pierre. Foto: PS
Im Hintergrund die Kuppel des Hôpital de la Grave. Foto: PS

Picknick am Pont Neuf

Der Pont Neuf über den Fluss, ein weiteres Wahrzeichen von Toulouse, war im Mittelalter noch aus Holz und trennte den historischen Stadtkern von dem später besiedelten Gebiet auf der anderen Seite, das tiefer lag und früher oft überschwemmt wurde. Erst seit 1632 trotzt die Brücke aus Stein besser den Hochwassern. Heute ist das Garonne-Ufer auf der Altstadtseite zum Picknicken beliebt. Die weite Aue auf der anderen Seite für große Feste, zum Beispiel wenn hier am französischen Nationalfeiertag, dem 14. Juli, Bands auftreten. An diesem einmaligen Tag im Jahr rückt ein Feuerwerk zwischen 23 und 24 Uhr die Garonne und den Pont Neuf ins richtige, euphorische Licht.

Der Pont Neuf – ein Bollwerk gegen die Fluten der Garonne. Foto: PS
Frisches Gemüse an der Markthalle Marché Victor Hugo. Foto: PS
Die verlockenden Fischstände in der Markthalle Victor Hugo sprechen dafür, als Unterkunft ein Appartment mit Kochgelegenheit zu nehmen. Foto: PS

Für Tänzer und alle anderen, die stets auf den Beinen und gut zu Fuß sind, ist Verpflegung in Toulouse kein Problem: In den Markthallen Victor Hugo (Place Victor Hugo, Di–So 6–14 Uhr) und Les Carmes (Place des Carmes, Di–So 7–13.30 Uhr) sind kulinarische Schätze versammelt. Hier kommen auch echte Schlemmer auf ihre Kosten. In den Tapasbars ist indessen der Einfluss des nahen Spaniens zu spüren. Besonders beliebt sind die Bars und Cafés des studentisch und arabisch geprägten Viertels Arnaud-Bernard.

Feuerwerk über der Garonne am 14. Juli, dem Nationalfeiertag. Also wiederkommen oder den Aufenthalt nach dem Festival Tangopostale verlängern. Foto: PS

Stadt für Fans des Tangokönigs Carlos Gardel und Jakobspilger

Das Geburtshaus von Carlos Gardel (4 Rue du Canon d’Arcole, Metro B Compans Caffarelli) steht in einem ruhigeren Viertel und ist mit einer Gedenktafel gekennzeichnet. Es ist heute eine gefragte Appartmentunterkunft für Touristen. Nicht weit entfernt liegt der Stadtpark Jardin Compans Caffarelli, wo sich Toulouse mit dem Teepavillon im japanischen Garten erneut weltoffen zeigt. Pilgerziel für Tangueros ist die zwischen Grün versteckte Statue von Carlos Gardell. Beide sind Stationen der Stadtführungen, während des Tangofestivals.

In diesem Haus verbrachte Carlos Gardel die ersten zwei Jahre seines Lebens mit seiner Mutter. Foto: PS
Erst eine kleine Stärkung …
dann tanzen. beide Fotos: PS

Da sich in Toulouse Jakobs- und Wanderwege kreuzen, ist es eine Überlegung wert, nach dem Festival von den Tangoschuhen gleich in die Wanderschuhe umzusteigen, oder zumindest ausgiebig durch die Stadt zu streifen. Ziel der Jakobspilger auf dem Weg nach Santiago de Compostela waren seit eh und je die Basilika St-Sernin, ein Meisterwerk der Romanik, und die Kathedrale Ste-Étienne. Akzente im Stadtbild setzen die vielen achteckigen Glockentürme der Kirchen und Klöster. Sie sind ein typisches Merkmal der meridionalen Gotik, die im französischen Süden romanische und gotische Stilelemente vereint.

Offene Fensterläden im Viertel der ehemaligen Pastelhändler und Parlamentarier. Foto: PS
Impressionen vom Festival Tangopostale aus dem Ballsaal in Ramonville, in dem bis zu 800 Gäste leicht Platz finden. Foto: PS

Der Glockenturm der Basilika St-Sernin, mit 64 m der höchste der Stadt, besteht aus fünf Arkadenstockwerken, die nach oben hin immer schmaler werden, gekrönt von einer Balustrade. Das Recht auf weltliche Türme im Hof ihrer Villen nach dem Vorbild der italienischen Renaissance hatten indessen nur die Capitouls (Stadträte) und Parlamentarier, die oftmals gleichzeitig Pastelhändler waren. Hellblaue Fensterläden, große Innenhöfe mit Loggien, Türmen, Renaissancetreppen und Gärten und viel Ruhe lassen hier Zeit im Viertel der Parlamentarier jenseits der Kathedrale vergessen. Es ist heute das vornehmste der Altstadt.

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