Habitation heißen die ehemaligen Zuckerrohrfabriken auf Martinique. Immer mehr haben sich dem nachhaltigen Tourismus geöffnet. Mit eigener Schokolade und Gourmetküche überrascht die Habitation Céron bei Le Prêcheur ganz im Norden der Insel mitten im Regenwald.
von Petra Sparrer
Immer an der steilen Felsküste entlang säumt eine schmale Straße das Meer. Der Sandstreifen, auf den die Wellen rollen, ist schmal. Gefahr durch Steinschlag und Hochwasser, die Straße ist durch den steigenden Meeresspiegel bedroht. Irgendwann einige Kilometer hinter dem Dorf Le Prêcheur, wo die Fähren zur Insel Domenica ablegen, scheint die Inselwelt zu Ende, jedenfalls führt keine asphaltierte Straße mehr geradeaus. Rechts ist hügelaufwärts nach rund 500 Metern durch dichten Regenwald der Parkplatz der Habitation Céron erreicht. Mit Ausritten durch das Gelände der Plantage wirbt ein Hinweisschild am Fluss. Aber auf dieser ehemaligen Plantage erwartet Besucher auch Inselgeschichte und uralte Vegetation und entspanntes Regenwaldflair.
Eine Plantage erwacht zu neuem Leben
Drei Holzhütten, Überreste von Kopfsteinpflaster – bis in die Sechzigerjahre waren die Hütten noch bewohnt. Rue Cases-Nègres hieß die Straße in der Kolonialzeit. Heute ist hier die Küche für das Regenwald-Restaurant untergebracht, das auf einer Terrasse unter einem Strohdach serviert. Der erste Besitzer Jean Leroux vergrößerte seine Ländereien auf 300 ha, indem er 1671 zum zweiten Mal heiratete: die benachbarte Witwe. Hunderte von Sklaven bauten auf dieser Plantage Zuckerrohr, Manioc, Kaffee, Kakao, Rüben, Avocados und Bananen an.
Seit der Abschaffung der Sklaverei Mitte des 19. Jahrhunderts, übernahm die Natur die Regie, die tropische Vegetation hat die bröckelnden Überreste der Gebäude überwuchert: Wassermühle und Zuckerfabrik liegen seither brach. Noch zu sehen ist der Kanal, durch den der Zuckerrohrsaft einst in einen Kessel floss, wo der Zucker abtropfte.
Zwei große Teiche versorgten das Herrenhaus mit Wasser. Eine gerade Allee führt hinauf auf den Hügel zum Haus hinauf. Zu besichtigen ist es nicht. Hier wohnt Laurence Marraud des Grottes, die das heute 75 ha große Anwesen der Habitation Céron vor einigen Jahrzehnten gekauft hat. Ganz für sich allein?
Lächelnd verneint die Besitzerin: „Wir wollen es behutsam renovieren, einen Garten Eden der Nachhaltigkeit und der kurzen Produktionswege daraus machen, die alten Kulturen der Insel wiederbeleben,“ erklärt sie. Was durchaus gelingt.
Seit 1993 ist die Habitation Céron für Besucher geöffnet. In eine der Holzhütten zog eine Art Hofladen ein, in dem hausgemachte und lokale Produkte verkauft werden – Konfitüren, Honig, Chutneys, Schokolade und andere Leckereien ebenso wie der rare Käse aus Martinique, wo es nicht viel Milchvieh gibt.
Unter einem Carbet, einem traditionellen Holzdach, wie schon die Ureinwohner der Karibik es kannten, kommen auf der Restaurantterrasse mitten im Regenwald exquisite Menüs auf den Tisch. Die Zutaten sind vorwiegend Produkte aus eigener Ernte. Kurze Wege, so das nachhaltige Motto.
Die Inselbewohner schätzen in der Saison die Krebse aus den alten Teichen der Plantage. Kinder können schaukeln. Und das Badezeug nicht vergessen: Am Ende der Wanderung durch den privaten Regenwald mit außergewöhnlicher Biodiversität gibt es einen Badestrand. Unter Pflanzenliebhabern geradezu ein Pilgerziel ist ein uralter Baum, ein echter Urwaldriese.
Der Zamana – Baum-Biotop im XXL-Format
Wer beindruckt durch das Unterholz schlendert und den Blick zu den Kronen in luftigen Höhen richtet, steht dem Baum vielleicht schon auf den Füßen. Die mächtigen Wurzeln, die sich in den Boden krallen, reichen an manchen Stellen bis zu einem Kilometer weit. Das Alter des größten Zamana auf den Kleinen Antillen wird auf mindestens 300 Jahre geschätzt. Im Regen ziehen sich die Blätter der ursprünglich in Mexiko und Peru beheimateten Art (Samanea samam (Willd.) Merr.) aus der Familie der Mimosengewächse zusammen. Wenn dann wieder die Sonne scheint und sie sich öffnen, tropft es noch einmal nass herunter.
Seit Anfang des 18. Jahrhunderts spendete der »Regenbaum« den Kulturen auf der Plantage Schatten, hielt den Boden feucht und sorgte für ein feucht-tropisches Mikroklima. Er ist schlichweg beeindruckend und in seiner Riesenhaftigkeit kaum ganz auf ein Foto zu bekommen.
Zehn Personen gemeinsam können den mächtigen Baumstamm mit über 2,50 m Durchmesser umarmen. Bromelien und vielfältige weitere Aufsitzer-Pflanzen (Epiphyten) haben auf seinen langen Ästen ein Zuhause gefunden, dass ihnen Speis und Trank garantiert. Sie wirken wie Miniatur-Wäldchen auf den Armen des Baums. Zyklonen und anderen Erschütterungen der Natur hielt der Zmana im Laufe der Jahrhunderte tapfer stand. Unter anderem wegen ihm, zeichete das französische Kulturministerium die Habitation Céron im Jahr 2015 als „Jardin remarquable“ aus.
Eine eigene Schokoladenmarke
Im Zuge der Renovierung und Erschließung hat Laurence Marraud des Grottes unter einem weiteren Carbet etwas näher am Fluss eine Bar einrichten lassen. Natürliche Säfte sowie selbst fermentierter Cidre oder Ingwer-Bier sorgen hier für eine Erfrischung. Auf der ehemaligen Plantage der Kolonialzeit wird wieder Obst, Gemüse und Kakao gepflanzt. „Wir integrieren alle Nutzpflanzen in das natürlich gewachsene Biotop. Hier stehen inzwischen 2000 Kakaobäume“, sagt Tochter Julie. Mit 22 kam sie aus Paris wieder nach Hause und auch einige Jahre später strahlt sie noch vor Glück. Mit den Kreationen ihrer hauseigenen Marke Chocolat Céron erfüllt sie sich auf Martinique einen Traum.
In einer kleinen Hütte mit zwei Räumen an einem Hang hat sie ihr Atelier eingerichtet. Manchmal fungiert es als kleines Schokoladenmuseum, wenn sie Besuchern die Entstehung ihrer Schokolade zeigt, von der Kakaobohne zur fertigen Tafel, die es im Hofladen zu kaufen gibt.
Die Habitation ist Mitglied der 2015 gegründeten Association VALCACO, der Vereinigung der Kakaoproduzenten aus Martinique, die einer traditionellen, aber mit der Zeit auf der Insel fast untergegangene Kulturpflanze zu neuem Leben verhelfen. Wer frühere Kakaoplantagen erneut bestellt, nachhaltige Kriterien und Biodiversität berücksichtigt, bekommt EU-Fördergelder.
Auch mit den Frères Lauzéa, auf Martinique renommierten Chocolatiers, steht Julie in engem Austausch. Sie liebt ihre Arbeit und krempelt wie jeder auf der Plantage die Ärmel hoch und versteht anzupacken. „Schaut mal“, sagt sie mit leuchtenden Augen und pflückt eine Frucht vom Baum.
„Die Kakaobohnen sind von einem weichen, weißen Flaum umgeben. Man kann sie herauslösen und wie Bonbons lutschen“. Das probieren hier Kinder wie Erwachsene gern, es schmeckt klebrig, süßherb – einfach lecker. Julie möchte einmal zur oberen Liga der französischen Chocolatiers gehören und die Plantage bietet ihr alle natürlichen Voraussetzungen dafür.
Engagiertes Restaurant – Exzellenz im Regenwald
„Restaurant engagé“ steht mit Kreide geschrieben an dem dekorativen antiken Holzschrank auf der Restaurantterrasse. Ein Kolibri seinen Schnabel in eine Blüte, die Flügel sind mit bloßem Augen kaum mehr zu sehen, so schnell rotieren sie. Mitten im Regenwald kann man hier auf Reservierung diesen Blick und ein mehrgängiges Menü genießen. Ein junger Küchenchef kreiert aus Produkten von der Plantage und aus der nahen Umgebung Erlebnisgastronomie für die Sinne.
„Wir sind froh, dass es endlich nicht mehr regnet,“ begrüßt uns der junge Küchenchef Hugo Thierry. Aber vielleicht, zwinkert er uns zu, hat ja die Feuchtigkeit eine mygale herausgelockt. Gemeint ist eine riesige endemische Baumvogelspinnenart. Zur Tarnung hat sie eine rotbraune Farbe wie viele Baumstämme. Spektakulär, wenn man sie erst einmal sieht, aber giftig oder gefährlich sind sie nicht. Und auch nicht essbar.
„Engagiert, das bedeutet, unsere Küche steht mit der Umwelt und der lokalen Wirtschaft im Einklang“, erklärt er. Seine Philosophie ist nachhaltig und einfach. Es gibt bis zu acht Gänge aus Produkten der Saison, von der Plantage und von lokalen Fischern und Märkten. Was jedoch auf den Teller kommt, bleibt bis zum letzten Moment sein Geheimnis.
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Sein Erfindungsreichtum und Sinn für Schönes hat sich herumgesprochen: Viele Inselbewohner wissen, dass man hier immer gute Überraschungen erlebt. Vegane und vegetarische Gerichte kommen ganz besonders dekorativ daher, mit Hibiskusblüten als rotes I-Tüpfelchen oder in Kokosnussschalen – jeder Gang ist auch optisch ein Genuss.
„Unser Gemüsegarten hier am Fuß der Montagne Pelée stammt aus einem Hotspot der Biodiversität. Uns steht immer eine reiche Auswahl zur Verfügung“, sagt er. „Eigentlich gestaltet die Natur unsere Gerichte.“
Auf Fisch und Fleisch versteht sich der kreative und innovative Koch natürlich auch. Gelernt hat er immerhin bei den renommierten Frères Pourcelles, die heute an der Place de Canourge in Montpellier ein Sternerestaurant führen. In London arbeitete er in den Küchen von Größen wie Ladurée und Hélène Darrose. Und jetzt entwickelt er neue Ideen auf der Basis der kreolischen Küche auf Martinique.
Die hervorragenden und authentischen Zutaten wachsen in der unmittelbaren Umgebung. „Die Vulkanerde ist fruchtbar, das erleichtert den Bio-Anbau enorm.“ Stachelgurken (Christophine bzw. Chayotte), Wasserbrotwurzel, eine Knolle – dachine oder chou chine genannt – (Chinakohl), Yamswurzeln, Maniok, Süßkartoffeln, Kokosnüsse, Guaven, Avocados sind das A und O der kreolischen Küche.
Kreativität und Ästhetik der Natur
Tamarinde, die Sternfrucht (auch Karambola), Zimtapfel und Guaven sorgen als Zutaten für den tropischen Touch und sind gute Proteinlieferanten. Auf Facebook stellt die Habitation Céron manchmal Küchentipps zur Verwendung saisonalen Gemüsearten. Viele dieser Gewächse stammen aus Lateinamerika und Asien und schaffen somit eine Verbindung zu einer internationalen kreolischen Küche. Ein riesiger Ideenpool. Exzellenz im Regenwald.
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INFOS
Habitation Céron, Anse Céron 97250,
Le Prêcheur, tägl. 9:30– 17 Uhr,
Eintritt 8/5 €,
https://facebook.com/habitationceron/
Vereinigung der Betriebe, die auf Martinique Kakao anbauen
Die Chocolatiers Thierry und Jimmy LAUZEA stellen auf Martinique Schokolade her