Vézelay, religiöser Wallfahrtsort mit großer französischer Geschichte, ist einfach zum Niederknien. Wer ins Burgund kommt, muss es gesehen haben. Beim Aufstieg zur Basilika, romanisches Unesco-Weltkulturerbe und über 900 Jahre alt, treffen Pilger auf Genusswanderer, Flaneure und Kunstbegeisterte.
Von Petra Sparrer
Der Aufstieg entlang der alten Kaufmannshäuser an der Rue Saint-Pierre ist für viele das Ende einer langen Tagestour zu Fuß. Jakobspilger und Wanderer auf dem „Weg der Deutschen“, dem GR 654 zwischen Belfort und Cluny, sind hier häufig gesehene Gäste. Als schönstes Dorf Frankreichs klassifiziert, macht das rund 500-Seelen-Dorf seinem Label alle Ehre. Hier ist nicht nur die berühmte Basilika zum Niederknien, sondern auch das Ambiente.
Kunsthandwerker und Antiquitätenhändler empfangen Gäste bei schönem Wetter herzlich an der Türschwelle. Ein schicker Weinladen mit Aussichtsterrasse erinnert an die Nähe des Weinanbaugebiets Chablis. Gut sortierte Bio-Winzerinnen wie Marie Cuny warten bereits vormittags selten lange auf Kunden.
Chablis und Künstlerflair im Zeichen von Maria Magdalena
Wenn auf halber Strecke am Hang eine Pause willkommen ist: Das kleine Musée Zervos zeigt den Nachlass des gleichnamigen Kunstsammlers, darunter Werke der Künstler Calder, Miró, Picasso und Max Ernst. Das Haus gehörte einst dem Schriftsteller Romain Rolland. Und auch der Arbeitsplatz des französischen Nobelpreisträgers von 1905 ist heute Teil der Ausstellung.
Der Blick in die Souvenirshops fällt immer wieder auf Mini-Skulpturen von Maria Magdalena. Denn der Begleiterin Jesu und Zeugin seiner Auferstehung war das Gotteshaus und die Wallfahrt bereits seit dem 11. Jh. geweiht. Ihre Reliquien, an die in der Krypta ein Knochen in einem vergoldeten Schrein erinnert, machten die Kirchenmächtigen und auch die Herzöge des burgundischen Nevers im Mittelalter reich.
Die wundertätige Wirkung, die den Reliquien zugeschrieben wurde, zog in der Blütezeit um die Zehntausend Bewohner und viele Pilger nach Vézelay. Aus dieser Zeit stammen die geräumigen Kellerräume unter den Häusern. Im 12. Jahrhundert erreichte der Magdalenenkult seinen Höhepunkt. Gefördert von der einflussreichen Benediktinerabei von Cluny galt Magdalena als wundertätige Schutzheilige. Der damaligen Erzählung zufolge war sie als verfolgte Jüdin aus Judäa geflohen. Später überführte wohl Abt Odo ihre Gebeine nach Vézelay. Aber im 13. Jahrhundert beharrte Karl II. von Anjou darauf, ihr echten Gebeine in der Provence in der Kapelle der Abtei von St-Maximin-la-Sainte-Baume gefunden zu haben. Der Papst gab ihm Recht.
Aufruf zum zweiten Kreuzzug
Doch zuvor war Vézelay zum Schauplatz französischer Geschichte geworden. Hier rief 1146 Bernhard von Clairvaux, Zisterziensermönch und mächtiger Kirchenmann, zum zweiten Kreuzzug auf. In Vézelay versammelte auch Richard Löwenherz, 1190 seine Ritter zum dritten Kreuzzug. Und in der imposanten, von 1104 bis 1360 erbauten Kirche verbannte Thomas Becket, der Erzbischof von Canterbury, König Heinrich II. von England, in einem erbitterten Streit um die Macht zwischen Kirche und Monarchie.
Von Viollet-le-Duc restauriert
Als sei die Basilika niemals durch Religionskriege verwüstet worden, erhebt sich oben auf dem »ewigen Hügel« von Vézelay nach all den Jahrhunderten unerschüttert ihre Westfassade. Im Hochsommer erscheint sie oft beinah strahlend weiß vor blauem Himmel. In Stein gemeißelt blicken die Apostel auf den Vorplatz. Der französische Denkmalschützer Prosper Mérimée beauftragte die erste Restaurierung der Basilika durch den Architekten Viollet-Le-Duc. Bei diesem Start einer steilen Karriere war er erst 26 Jahre alt. Sie machte ihn als den führenden Restaurator Frankreichs im 19. Jahrhundert bekannt, auch wenn seine Mittelalterkenntnisse heute als ziemlich umstritten gelten.
Um die 100 original romanische Kapitelle
Was jeden Kunstliebhaber in Euphorie versetzt: Der romanische Skulpturenschmuck der Kapitelle und das Tympanon im inneren Portal unter der Empore sind original aus dem 12. Jahrhundert erhalten. Fast 100 Kapitelle, die in der Zeit von 1125 bis 1140 entstanden, machen diese Kirche immer noch über die Landesgrenzen hinaus zu einem Besucherhighlight. Gleichnisse und Bibelgeschichte in Stein gehauen, thematisieren Gut und Böse, erzählen aus Himmel und Hölle und sind auf jeden Fall Hingucker. Akanthusblätter symbolisieren nach dem Verständnis der damaligen Zeit, in der nur Gelehrte lesen konnten, verborgene Geheimnisse.
Verwittert stehen sie im Einklang mit der Natur: Aposteln und Figuren der Westfassade Fotos: PS
Das Weltgericht und der Zug der Völker
Wer die Magdalenenkirche – Sainte-Madeleine – betritt, schreitet durch die Vorkirche vom Profanen zum Sakralen, vom Dunkel ins Licht, und staunt dann über die strahlende Helligkeit und schiere Größe im Innenraum – 62 Meter lang und 18 Meter hoch. Das neuromanische Weltgerichtstympanon restaurierte Viollet-le-Duc Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Mittelportal ist original dargestellt, wie Jesus Christus den Heiligen Geist an die Apostel weitergibt – die Pfingstbotschaft. Die feurigen Zungen senken sich auf sie herab und so können sie die Sprachen aller Völker der Erde sprechen, und das Evangelium in die Welt hinaustragen.
Der Zug der Völker zeigt Panotier, Pygmäen und Europäer, Römer, Skythen und Parther, auch Griechen, Juden, Araber, Inder, Äthiopier und Armenier sind auszumachen. Es geht um die Aussendung der Apostel und die Botschaft der Kirche soll zu allen Völkern gelangen. Virtuose Bildhauer haben die körperlichen Proportionen der Realität beobachtet und sie in die kirchliche Botschaft eingegliedert. Einfach beeindruckend.
Auf ins Morvan und nach Saint-Père-sous-Vézelay
Befestigungsanlagen aus den düsteren Zeiten der Kreuzritter säumen den Hügel und laden ein zu einem Spaziergang mit weitem Blick über das Tal des Flusses Cure, die Weinberge und das wald- und seenreiche Mittelgebirge Morvan, in dem heute Trail-Läufer und Mountainbiker unterwegs sind. Die Kleinstadt Avallon mit einem netten Markt ist nur 16 km weit entfernt. Am Fuß von Vézelay in Saint-Père-sous-Vézelay begann die Saga von Vézelay, denn hier im Tal gründete der Graf von Vienne, Girard II., 858 die erste Beneditinerabtei, die später auf den Hügel verlegt wurde. Kunstliebhaber können in Saint-Père-sous-Vézelay ein bedeutendes Beispiel burgundischer Hochgotik anschauen: die Kirche Notre-Dame. Auch ihre Westfassade hat faszinierenden Skulpturenschmuck und ein Weltgerichtstympanon, das Christus als himmlischen Richter inszeniert.
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Infos
Von Juni bis September erfüllen oft Klänge sakraler Musik die Basilika. Ein Highlight der Konzertreihe ist das Festival Les rencontres de Vézelay im August.