Stierkampf in der Camargue ganz anders

Urbanes Klettern oder »Dächer hacken« wäre wahrscheinlich ein Leichtes für die sportlichen Jungs in Weiß, die in den Arenen der Camargue in der Mannschaft zirkusreif gegen schwarze Camargue-Stiere antreten. Die Stiere springen ihren Häschern manchmal über die Bande hinterher, beinah so leichtfüßig wie Pferde.

Von Petra Sparrer

Kein Stierkampf, sondern ein »Stierrennen« auf Trophäenjagd im Rondell, bei dem letztendlich die Menschen am meisten springen. Die Tradition ist tief verankert, auch bei der Dorfjugend von heute. Bei den Courses Camarguaises geht es um lokales Brauchtum, es ist eine identitätsstiftende Tradition. Im ruralen Ambiente der Camargue-Dörfer sorgen sie für Unterhaltung.

Der kommerzielle und sportliche Event ist sozialer Klebstoff und Verdiensmöglichkeit für die Einheimischen und Training für die Stiere. Den Züchtern bringt er Renommé, den Zuschauern, einschließlich der Feriengäste, ein intensives Erlebnis zum Mitfiebern. Hier stirbt keiner. Hemingways »Tod am Nachmittag« ist eine andere Geschichte, die Dorftradition in der Camargue ist nicht morbide, sondern höchst lebendig.

Fotostrecke

Diese Fotos von der typischen Action bei den saisonalen Events in den Arenen der Camargue habe ich 2019 in Marssillargues aus der ersten Reihe gemacht. Die Pandemie hat Stiere wie Züchter und alle anderen unterdessen etwas ausgebremst. alle Fotos (7): PS

Stierkampf als sozialer Klebstoff: Course Camarguaise

Marssillargues: Camargue-Mythos und spanische Klänge stellen den Auftakt der Course Camarguaise dar. Traditionell erklingt das Lied des Escamillo aus der Oper Carmen: »Auf in den Kampf, Torero …«. Frauen in der Tracht der schönen Arlésienne betreten die Arena.

Hier stimmt das Bild des alten Südfrankreichs aus dem Bilderbuch noch: Lokale Folklore in der Arena zwischen Rathaus und französischem Café. Es ist heiß, die Arena nur halb gefüllt, Einige Dorfbewohner schauen als Stammgäste von ihren eigenen Balkonen zu. Die meisten Zuschauer sind von hier, bis auf drei Touristenfamilien mit begeisterten 8- bis 12jährigen.

»Liberté, Égalité, Fraternité« – das Motto der Republik prankt in großen Lettern an der Rathausfassade. Alle sind gespannt, was sie gleich zu sehen bekommen werden. Und manche fragen sich auch – Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – gilt das hier auch für den Stier?

Stierkampf heißt in Marssillargues Courses Camarguaise
Orientierungslauf: Wer sitzt den da im Publikum? Und wo sind meine Häscher? Foto: PS

Weiße Weste, schwarzer Stier

Los geht´s, aber vorab ist es gut, zu wissen: Bei den Courses Camarguaises (meist Sa, So, 2 Std.) bleibt der Stier am Leben, sondern gilt als Star. Je mehr Erfahrung die intelligenten Tiere in der Arena sammeln, desto besser können sie ihr »griechisches Alphabet« auswendig, wie Toreros zu sagen pflegen.

Aber Moment mal: Bei den Course Camaguaise gibt es ja keine Toreros, sondern sogenannte raseteurs, ausgebildet an darauf spezialisierten Schulen, den Écoles des Raseteurs. Hier kann längst nicht jeder mitmachen. Mannschaftssinn oder Teamgeist sind längst nicht die einzigen Kriterien. Die Courses Camarguaises (von April bis Oktober) laufen nach den festen offiziellen Regeln der Vereinigung Fédération Française de la Course Camarguaise mit Sitz in Nîmes ab.

Örtliche Unternehmen lassen sich als Sponsoren bestimmter Geldsummen ausrufen, sobald es gelingt, die Kokarde, die Quasten und die Kordeln von der Stirn des Stiers zu ergattern. Ein Anreiz für die nicht ganz einfache Aufgabe.

Trophäenjagd durch die Arena

Meist treten acht durchtrainierte junge Männer gegen einen Stier an, zwei übernehmen die Rolle des Antreibers und Ablenkers (tourneurs) und sechs sind Abstreifer (raseteurs). Das ungewöhnliche Substantiv leitet sich vom Verb raser (abstreifen, abrasieren) ab. Mit einem Stahlkamm mit Zacken, dem crochet beziehungsweise der Eisenkralle in den oft zum Schutz verbundenen Fingern haben sie ein zugegeben nicht gerade sanftes Hilfsmittel. Je nach Situation greifen sie aber auch mit bloßen Händen nach den Trophäen, die der Stier trägt.

Courses Camarguaises Und ich hab dich …
Foto: PS
Geschwindigkeit ist keine Hexerei.
Foto: PS

Auf der Flucht vor dem Stier springen die raseteurs häufig über die Bretterwand der Arena gegen die Gitter vor den Rängen der Zuschauer. Und nicht selten springt der Stier direkt hinterher und zirkuliert dann aufgebracht hinter der Bande. Wutschnaubende Stiere werfen mit ihren Vorderbeinen Sand hinter sich. Wer nicht schnell genug aus der Arena springt, wird auf die Hörner genommen. Ein klein wenig Schutz bietet da nur noch ein kleiner runder Aufsatz, der den Stieren über das spitze Ende der Hörner gestülpt wird.

Vollbremsung, damit es nicht so weh tut. Stier und Mensch haben ein gewisses Verletzungsrisiko, hoffentlich geht alles gut aus. Foto: PS

Stierkampf-Preisgelder in den Arenen

Je bedeutender die Arena, wie z.B. in Nîmes, Arles, Lunel, Beaucaire und Les-Stes-Maries-de-la-Mer und je erfahrener und bekannter der Stier, desto höher das Preisgeld. Es reicht von 100 bis 200 Euro in Dorfarenen bis zu 1500 und 1700 Euro in Nîmes und Arles. Jüngere Stiere kämpfen 10 Minuten gegen acht raseteurs, und ältere, um die 12jährige Stiere auf dem Höhepunkt ihrer Karriere 15 Minuten gegen 15 bis 20 raseteurs.

Springende Stiere sorgen als Stars der Events in den Arenen in der lokalen Presse für Aufmerksamkeit. Der Züchter freut sich und irgendwann bekommt der Stier vielleicht ein Denkmal. Foto: PS

Herdentrieb als Motivation

Tapfere Stiere, die schon eine gewissen Karriere hinter sich haben, lassen sich 15 Minuten lang weder überlisten, noch den kompletten Kopfschmuck abluchsen, und sind dann nach Ablauf der Zeit die Siegerdes ganzen Spiels. Oft sind sie nach der Show nicht aus der Arena zu bekommen. Dann setzt man dazu dressierte Stiere oder Kühe ein, mit denen die Stars ihrem Herdentrieb folgend hinausspazieren. Bei einer Course Camarguaise treten meist sechs oder sieben Stiere hintereinander auf.

Auf ein Neues. Nächste Runde, der nächste bitte! Foto: PS

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