Peugeot: Kultiges Museum

Kult ist das Musée de l´Aventure Peugeot in Sochaux, nicht weit von Montbéliard in der Region Doubs. Oldtimer, Industriekultur und die Geschichte des Familienunternehmens, das zum Weltkonzern wurde.

Von Petra Sparrer

Toll, wenn so ein Peugeot 402 Coach-Cabriolet aus dem Jahr 1944 in hellgelb funkelnagelneu aussieht. Dafür sorgen die automobilbegeisterten Mitglieder des Clubs Vieux Volants Franc Comtois in der Franche-Comté zwischen Jura und Vogesen. Am Tag des Offenen Denkmals zeigen sie ihre liebevoll und originalgetreu restaurierten Glanzstücke schon mal unterhalb des Schlosses von Mömpelgard, so der württembergische Name von Montbéliard. Eine Rundfahrt ab hier ist klasse und zu den beliebtesten Zielen gehört das Museum Aventure Peugeot in Sochaux.

Ein Oldtimer aus der Produktion von Peugeot im Museum
Produziert von 1935–1942: Dieses schicke 402 Coupé Tranformable fuhr 120 km/h. Foto: PS

Oldtimer? Einfach göttlich! »Heiligs Blechle«

In der Zeit als, die heutige Partnerstadt von Ludwigsburg, bis 1796 ganze 400 Jahre lang als linksrheinische Grafschaft den Herzögen von Württemberg gehörte, entwickelten sich Kunst, Architektur, Technik und Wissenschaft wie nie zuvor. Luthers Thesen bahnten dem Protestantismus den Weg bis nach Mömpelgard und Herzog Friedrich I. beauftragte einen deutschen Baumeister. Heinrich Schickhardt vollendete 1607 die protestantische Kirche Saint-Martin.

Toskanische Stilelemente der Renaissance – Säulen, Pilaster, Kapitelle – zeugen an der Kirchenfassade vom Triumph einer noch neuen Religion. Was für uns heute nicht nur ieine Einladung zum Sighseeing ist, sondern wohl schon den Grundstein dafür legte, dass fleißige Protestanten 200 Jahre später in der Franche-Comté das Familienunternehmen Peugeot gründeten. Im nahen Sochaux an der Burgundischen Pforte besteht die Dreifaltigkeit bis heute aus dem Peugeot-Automobilwerks, einer Kirche und dem 1982 eröffneten Musée de l´Aventure Peugeot.

In den Anfängen fuhr das Reserverrad an der Seite mit und das Automobil sah noch sehr nach Kutsche aus. Foto: PS

Ein Familienabenteuer über Generationen

Abenteuerlich ist die Geschichte, die dieses Museum erzählt. Es geht um Industriekultur, bahnbrechende Erfindungen und die Anfänge der Entwicklung zu einem der größten europäischen Automobilbauer, inzwischen Teil eines Weltkonzerns. Zwischen Säulen stehen in einer Halle mit Jugendstilambiente blitzblanke, glitzernde Gefährte, vom Cabrio über Feuerwehrwagen bis zum Rennauto. Mittendrin lädt eine Brasserie im Belle-Époque-Stil zum Einkehren ein. Mit staunenden Kinderaugen entdeckt man rund herum Sägeblätter, Kaffee- und Pfeffermühlen – Nähmaschinen … Denn die Firmengeschichte begann noch vor der Erfindung des Automobils. Europas erstes Fahrradmodell, Le Grand Bi, ein Hochrad mit riesigem Vorderrad, fertigte Peugeot ab 1870.

Wer in diesem familientauglichen Museum alles ausführlich betrachten möchte, braucht für den Streifzug durch über 200 Jahre Industriekultur von 1810 bis heute um die zwei Stunden. Es gibt 130 faszinierende Automobile, um die 50 Motorräder und historische Fahrräder und 3000 weitere mehr oder weniger kuriose Objekte. Fotografieren ist erlaubt und auch kleine Hunde dürfen mit in die heiligen Hallen.

Ein heute kurioses Feuerwehrauto Foto: PS
Nähmaschine aus dem Hause Peugeot Foto: PS

Korsettstangen, Fahrradspeichen und der Wappenlöwe

Im Museum fällt der Schritt zurück zu den Anfängen leicht: Als offizielles Gründungsdatum von Peugeot gilt 1810. Jean-Pierre und Jean-Frederick Peugeot ließen eine ihrer Ölmühlen in Herimoncourt zu einem Werk umbauen und begannen Uhrenfedern, Sägeblätter, Rasierklingen und weitere nützliche Dinge aus Walzeisen und Stahl herzustellen.

Schon ein Jahrzehnt später hatte sich ihre Firma zu einem Walzwerk entwickelt. Nach protestantischer Arbeitsethik schalteten und walteten sie im Sinne des Liberalismus. Ihre Gewürzmühlen, Nähmaschinen und Regenschirme fanden dann Ende des 19. Jahrhunderts Absatzwege bis nach Italien und die Türkei. Vom Regenschirm über Korsettstangen für Damen war es nicht weit zur Speiche für das Fahrrad.

Arman Peugeot ließ sich im Studium in England inspirieren und ging mit Fahrrädern mit Kettenantrieb in Serienproduktion. Das Familienunternehmen machte den französischen Löwen vom Wappen ihrer Region Franche-Comté zum Symbol für Luxus, Erfolg und Geschwindigkeit. Schon 1891 verschwand die Königskrone vom Peugeot-Logo, das es schon vor dem ersten Auto der Firma gab

Ganz schöner Balanceakt: Das Grand bi (Hochrad), Europas erstes Fahrrad, hatte ein kleines Stützrad. Foto: PS
Blaues Rennauto von 1937: Das 302 Spécial Sport startete vielversprechend beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Foto: PS

Die älteste, noch existierende Automarke

Das erste Auto des Unternehmens stellte Armand Peugot 1889 auf der Pariser Weltausstellung vor: den Serpollet, eine Dreirad-Dampfmaschine. Es kam zu Pannen auf der Strecke Paris – Lyon und bald zeichnete sich ab: Dieser Wagen war ein Flop. Im Jahr 1891 kam ein vierrädriger Nachfolger und die Serienproduktion begann. Er hatte 1 PS und einen Zweizylinder-Benzinmotor, ein Patent von Gottlieb Daimler von 1855. Peugeot produzierte im Jahr 1900 rund 500 Autos und 20 000 Fahrräder. Noch zu Lebzeiten des Firmengründers Armand, eröffnete 1912 neben der Produktionsstätte in Audincourt auch das Werk in Sochaux, bis heute ein großer Arbeitgeber in der Region. Ein Besuch im Peugeot-Museum hier ist absolut empfehlenswert.

Echte Oldtimer-Fans lassen sich vor die heiligen Hallen fahren, in einem der blitzblank gepflegten Schätzchen eingeschworener Mitglieder des Club Vieux Volant Franc-Comtois. Foto: PS

Das französischste aller Autos plus eine Fusion

Mit Peugeot kam ganz Frankreich in Fahrt. Dach auf – das erste Cabrio eroberte 1938 den Markt. Doch das Auto, dem göttliche Qualitäten zugeschrieben wurden, war kein Peugeot, sondern d i e »Déesse«, der neue Citroën (DS) von 1955. Es hilft ja nichts: Selbst wer sich eher für Kultur interessiert und so gut wie Null technisches Interesse oder Know How hat, muss manchen Autos einfach mal über das Metall streichen.

Unvergessliche DS – die »Sie« unter den Autos und die Muse der Philosophen
Foto: D. Fallot, Conservatoire Citroën

In seinem Werk »Mythen des Alltags« (Suhrkamp, 1957, frz. Mythologies) widmete der französische Philosoph Roland Barthes (1915–1980) dem kultigen tiefergelegten Auto mit Hydraulik einen seiner kurzen Essays über Alltagsphänomene. Er schrieb: »Ich glaube, dass das Auto heute das genaue Äquivalent der großen gotischen Kathedralen ist.« Weiter geht es wortreich darum, warum etwas Magisches an diesem Auto ist, etwas dank seiner Perfektion Übernatürliches, mit Fenstern, die organisch mit Materie und Umwelt verschmelzen wie Seifenblasen, warum die DS also etwas Spirituelles hat und bewundert wird. Kurzum: Das Wort kultig war seinerzeit vielleicht nicht noch erfunden. Aber es macht Spaß, sich in seine Zeit zurückversetzen zu lassen.

Gendern? Für Autofans Kulturgeschichte

Das vielleicht berühmteste französische Auto, fuhr auch Staatspräsident Charles de Gaulle zu seinen Terminen, der 1962 in einer DS einen Mordanschlag überlebte. Es gilt unumstritten als Designikone und zählt zu den beliebtesten Sammlerstücken bei Oldtimerfans rund um den Globus. Diese elegante Limousine hat alle Autofreaks und selbst bekennende Machos unter ihnen zum Gendern gebracht: Statt »der DS« wie »der Renault« und »der Peugeot« setzte sich »die DS« durch, mit weiblichem Artikel! Einfach göttlich. Irgendwann wusste jeder im deutschsprachigen Raum: Es heißt keinesfalls »der DS«. Aus einfachem oder übernatürlichem Grund? Jedenfalls lautet die Übersetzung von DS beziehungsweise »Déesse«: d i e Göttin.

Alltagsgeschichte blitzblank poliert: Blick in eine Halle des Conservatoire Citroën bei Paris
Foto: D. Fallot, Conservatoire Citroën

Ein Jahr nachdem Citroën 1974 zu Peugeot kam, wurde die Produktion der D-Reihe eingestellt. Bilanz: 1.456.115 Fahrzeuge. Allein die Déesse lohnt einen Besuch bei der Konkurenz von Peugeot, die aber schon längst gar keine mehr ist. Denn Familienmitglied Pierre Peugeot schuf 2001 das Conservatoire Citroën in Aulnay-sous-Bois bei Paris. Hier werden 240 Straßen- und Rennwagen der Marke ausgestellt und restauriert. Warum steckt schon wieder Peugeot dahinter? Vielleicht hätte sich das auch Gründer Armand gefragt. Oder bereits geahnt, dass seine Firma Teil eines Weltkonzerns wird? Im Jahr 2020 fusionierten die französische Groupe PSA (Citroën, DS, Opel, Peugeot und Vauxhall) und die italienisch-amerikanische Gruppe Fiat Chrysler Automobiles zu Stellantis. Aber eine neue Göttin gab es bisher nie wieder!

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